Moskau-Brief

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  • Franz-Karl Lindner
    59494 Soest
    • 05.06.2003
    • 554

    #1

    Moskau-Brief

    Hallo an alle des Russischen mächtig.
    Bilde vorder- und Rückseite eines Umschlages ab, der mich als Sammler von allem zum Thema Blindheit sehr interessierte. Allerdings kann ich die diversen Texte auf beiden Umschlagsseiten nicht übersetzen und auch nicht deuten. Wer kann mir dabei helfen?
    Bei dem Stempel soll es sich um einen Stempel der Moskauer Polizei handeln. Ist das so?
    Was sagt die Siegelmarke auf der Rückseite aus?
    Viele Fragen - bin gespannt auf die Antworten.
    Danke
    Franz-Karl
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  • buzones
    Homo philatelicus hisp.
    • 11.06.2003
    • 567

    #2
    Hallo FKL,

    meine geringen Kenntnisse der kyrillischen Schrift reichen zumindest soweit, dass ich aufgedruckt Kaiserin Maria Alexandrowna Мария Александровна identifizieren kann (vorders. Aufdruck und rücks. Siegel). Eine Internetrecherche zeitigte folgendes Ergebnis aus der Zeitschrift Der Blindenfreund (Nr. I. Düren, 15. Januar 1917. Jahrg. XXXVII. ):

    Im Jahre 1878, zu Ende des Türkenkrieges, war auf Wunsch
    der Kaiserin Maria Alexandrowiia, auf Initiative C. v. Grot's, un'er
    i-einem Vorsitz ein Comitee zur Kürsorge für die Familien der im
    Kriege Gefallenen und Verwundeten niedergesetzt worden. Da sich
    unter den Hülfsbedürftigen Soldaten befanden, die während des Feld-
    zuges erblindet waren, wurden in St. Petersburg und Kijew Asyle
    gegründet, in welchen sie Aufnahme und Anleitung zur Erlernung
    von Handwerken fanden. Durch diese Asyle wurde der Anstoss zur
    weiteren Fürsorge für alle HKnden des Reiches gegeben Als das
    Comitc'e nach Erfüllung seiner speciellen Aufgabe geschlossen werden
    sollte, regte C. v. Grot an höchster Stelle den Gedanken an, das
    Comitee in ein permanentes Curatorium umzuwandeln und ihm die
    Aufgabe der Fürsorge für alle Blinden zuzuweisen.

    So entstand erst aus kleinen Anfängen das ,,Blinden-Curatorium
    der Kaiserin Maria Alexandrowna", gegenwärtig fast ein Ressort für
    sich, das seine in Wahrheit humane, segensreiche Thätigkeit über
    die weitesten Theile des Reiches verzweigt hat.

    Eine Reihe von An.stalten, Asylen und Gewerkklassen wurden
    eröffnet, die kleine, im Jahre 1881 von C. v. Grot aus eigenen
    Mitteln gegründete Blindenschule in St Petersburg zu einer Muster-
    anstalt, der Alexander- Marien-Blindenschule erweitert und zum
    Prototyp für die Neugiündungen im Innern des Reiches erhoben.
    Die Einnahmequellen des Curatoriums bildeten in der ersten Zeit
    die nicht zur Verwendung gelangten Mittel des Comites, aus dessen
    Schoosse das Curaiorium entstanden war, später hauptsächlich Samm-
    lungen, die namentlich in der „Blindenwoche" in allen Kirchen des
    Reiches in Sammelbüchsen einliefen oder die durch Sammler, frühere
    Acci^ebeauite v. Grot's, in die Hauptkasse des Curatoriums geliefert
    wurden. Eine kaiserliche Spende, die den reichen, unantastbaren
    Bündenfond schuf, wurde dem Curatorium im Jahre 1888 zu Theil.
    Nach dem Tode der Kaiserin Maria Alexandrowna hatte der Kaiser
    Alexander II. eine Million Rubel zu Wohlthätigkeitszwecken bestimmt,
    ohne eine Angabe über die Verwendung des Capitals zu machen.
    Als die Frage hierüber berathen wurde, gelang es C. v. Grot, die



    u

    Allerhöchste Genehmigung zur Zuweisung der kaiserlichen Spende
    an das Blindeu-Cuiatorium zu erhalten und so den Grund zur ge-
    deihlichen Fortentwicklung namentlich des Bildnngswesensder Blinden
    zu legen. Das Curatorium, früher „Marien-Curatorium" benannt,
    erhielt den Namen „Blinden - Curatorium der Kaiserin Maria
    Alexandrowna", die Blindenschule zu St. Petersburg, zu deren Unterhalt
    die Zinsen des Capitals verwandt werden sollen, den Namen „Alexander-
    MarienBlindenschule-'. Durch fortgesetzte Aufsichlenkung der öffent-
    lichen Aufmerksamkeit auf die Thätigkeit des Caratoriums erreichte
    letzteres die freigiebige Unterstützung weitester Kreise, und mit den
    progressiv anwachsenden Mitteln wurde das Curatorium auch in die
    Lage versetzt, seine Aufgaben zu erweitern und seine Thätigkeit
    über das ganze Reich zu erweitern. Gegenwärtig umfasst die Wirk-
    samkeit des Curatoriums hauptsächlich nachstehende Aufgaben: Er-
    ziehung und Bilduijg der minderjährigen Blinden; Ausbildung der
    erwachsenen Blinden zu Handwerkern ; Patronat über die Blinden
    nach Beendigung ihrer professionellen Bildung; Fürcorge für die
    greisen und zur Arbeit unfähigen Blinden; Verbreitung und Druck
    von Büchern für die Blinden und Herausgabe eines Blindenjournals ;
    ärztliche Präventivmassnahmen endlich zur Verhütung von Er-
    blindungen durch Gründung von Augen-Heilanstalten für Mittellose
    durch Abcommandiren von Augenärzten in Ortschaften, die ärztlicher
    Hülfe entbehren und dergl. ^

    Im Jahre 1895, als C. v. Grot in Folge seiner zerrütteten Ge-
    sundheit den Vorsitz im Blinden-Curatorium niederlegte, besass
    letzteres ein Capital von 2 000 000 Rubel, Immobilien im Werthe
    von 90 000 Rubel, 21 Blinden-Anstaiten, 3 Augen-Heilanstalten,
    2 Greisenheime und 1 Asyl für arbeitsfähige Blinde. Ein Meister
    haus für erwachsene Blinde zur Ausbildung von Meistern, auch zur
    Aufnahme früherer Zöglinge der Alexander-Marien- Blindenschule war
    das letzte Werk C. v. Grot's, das den Ausbau seiner Schöpfung
    krönte. Das Meisterhaus ist aus eigenen Mitteln C. v. Grot's erbaut
    worden, trägt seinen Namen und ist für 60 Blinde eingerichtet. Es
    beherbergt gegenwärtig etwa 35 Blinde.

    Aufzuzählen, was C. v. Grot auf dem Gebiete der Philantropie
    gethan: für die Fürsorge der Taubstummen, die Anstalten der Gross-
    fürstin Helene Pawlowna, zahlreiche öffentliche und 3 private Wohl-
    thätigkeits-InstituTe, würde einen Raum beanspruchen, der weit über
    den Rahmen dieser kurzen Uebersicht hinausginge. An der Spitze



    15

    des Blinden- Cnratoriiims, dessen Geschichte die Geschichte der
    TbütiKkcit C. v. Grol's ist, hatte h^tzterer 14 Jahre lang gestanden ;
    sein staatsmännisches Wirken umfasst einen Zeitraum von 60 Jahren.
    Seine unermüdliche Thatkraft, seine rastlose Energie und sein auf-
    j^eklärter Geist konnten von Allen, auch den Fernstehenden, bewundert
    werden. Seine edlen persönlichen Eigenschaften, seinen humanen
    Character konnten nur Näherstehende würdigen. Das» er neben
    seiner öffentlichen Wirksamkeit im Dienste der Philantropie auch
    in verborgener Weise ihr Priester und Diener war, wussten nur
    Wenige. Und dass sie davon Kenntniss erhielten, verdankten sie
    nur dem Zufall: auf so stille, discrete, künstliche Weise liebte es
    C. V. Grot, seine gute Werkthätigkeit insgeheim zu treiben.

    Seine starke Natur hatte der Krankheit in letzter Zeit hart-
    näckig widerstanden. Sein unheilbares Leiden aber siegte ob.
    ('. V. Grot wurde seiner Lebensarbeit entrissen — von Russland
    und seinen weitesten Kreisen betrauert, beweint von den Blinden,
    denen er in Wahrheit ein Vater gewesen. Sein Andenken unter
    ihnen wird fortleben, so lange es in Russland eine Blindenfürsorge
    gibt. Das philantropische Denkmal, das er sich durch seine segens-
    reiche Lebensarbeit gesetzt, ist ein unvergängliches.


    Ich nehme an, dass der Brief wohl etwas mit dem Blinden - Curatorium der Kaiserin Maria Alexandrowna zu tun hat...
    Saludos filatelicos
    Ralf

    Kommentar

    • Franz-Karl Lindner
      59494 Soest
      • 05.06.2003
      • 554

      #3
      Danke, Ralf, das bringt schon gewaltig Licht in die Angelegenheit.
      Franz-Karl

      Kommentar

      • nst812
        Registrierter Benutzer
        • 28.09.2011
        • 35

        #4
        Hallo Franz-Karl Lindner,

        buzones hat ja schon die absendende Organisation identifiziert. Ergänzen kann ich die Übersetzung der Aufschriften:

        Vorderseite:

        An den hochwohlgeborenen
        Igumen [Klostervorsteher/Abt] Valentin
        Dekan des Auferstehungsklosters des heiligen Davids
        über die Serpuchower Kreispolizeiverwaltung

        Von der Moskauer Abteilung des Blinden-Kuratoriums der Kaiserin Maria Alexandrowna

        [Ausgangs-]Nr. 2858

        Tagesstempel der 1. Expedition des Moskauer Postamtes vom 19.VI.1897 (einen Stempel der Polizei sehe ich nicht )


        Rückseite:

        Ankunftstempel Serpuchow, nur fragmentarisch erhalten

        Siegelmarke der Moskauer Abteilung des Blinden-Kuratoriums der Kaiserin Maria Alexandrowna „FÜR PAKETE“ (Paket = größerer Briefumschlag).

        Die Siegelmarke war für die Bestätigung des Rechts auf portofreie Beförderung von Briefsendungen der hierzu berechtigten und bei der Hauptverwaltung für Post- und Telegraph registrierten Einrichtung notwendig. Weitere obligatorische Elemente waren die Angabe des Empfängers und der absendenden Einrichtung sowie der Ausgangs-Nr.

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